Albrecht Hatzius
Die Festlegung von Lernzielen*)
Was soll der Unterricht beim Teilnehmer, bei der Teilnehmerin bewirken? Was soll er am Ende des Unterrichts wissen und können, welche Einsichten und Einstellungen soll er gewonnen haben?
Es ist heute allgemeine Auffassung in Schul-, Hochschul- und Erwachsenenpädagogik, dass Unterricht auf Lernziele bezogen sein muss. Für die Unterrichtsplanung ist die Formulierung von Lernzielen unverzichtbar: "Wenn man nicht genau weiß, wohin man will, landet man leicht da, wo man gar nicht hin wollte" (F. Mager).
- Lernziele bezeichnen, was durch den Unterricht erreicht werden soll
- Lernziele machen deutlich, in welchem Bereich, auf welcher Ebene etwas verändert werden soll (Verstehen, Denken, Handeln usw.)
- Lernziele geben an, mit welcher Intensität etwas im Unterricht zu behandeln ist.
In der Hochschulausbildung, wo die Überprüfung des Lernerfolgs durch Leistungsnachweise und Prüfungen erfolgt, sind Lernziele die Voraussetzung für die Formulierung von Prüfungsanforderungen. In der berufsbezogenen wissenschaftlichen Weiterbildung bietet die Formulierung von Lernzielen für Dozenten und Teilnehmer die Möglichkeit, zu erkennen, ob der Unterricht für die Praxis von Bedeutung ist.
1. Lernzielstufen: Genauigkeit der Zielformulierung
Lehrziele bezeichnen zum einen die Stufen der Abstraktion - Konkretion , auf denen durch den Unterricht etwas erreicht werden soll. Hierfür haben sich folgende Begriffe eingebürgert:
Das Richtziel
Lernziel für einen gesamten Ausbildungsgang.
Beispiel (aus dem berufsbegleitenden Weiterbildungsstudium "Gebäudesanierung"): Das Weiterbildungsstudium soll die Teilnehmer befähigen, die Sanierungsbedürftigkeit von Gebäuden zu erkennen, die häufigsten Bauschäden zu analysieren und Methoden zu deren fachgerechter und wirtschaftlicher Behebung kennen zu lernen.
Das Grobziel
Lernziel für einen einzelnen Kurs oder eine Vorlesung.
Beispiel: Durch ihre Teilnahme am Kurs "Wirtschaftlichkeitsberechnungen" sollen die Teilnehmer in die Lage versetzt werden, Sanierungsmaßnahmen nach Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten zu beurteilen und entsprechende Planungsentscheidungen zu treffen.
Das Feinziel
Operationales Lernziel innerhalb eines Kurses oder einer Vorlesung.
Beispiel: Die Teilnehmer/innen sollen befähigt werden, eine Nutzwertbetrachtung durchzuführen.
Anzumerken ist, dass die drei Lernzielstufen zwar hierarchisch aufeinander aufbauen, dass sie sich aber nicht etwa logisch voneinander ableiten lassen. Auf jeder Stufe müssen daher jeweils neue didaktische Entscheidungen getroffen werden.
2. Lernzielbereiche: Verhaltensdimension
Lernziele sind außerdem zu unterscheiden nach verschiedenen psychischen Lernbereichen, in denen sich die Verhaltensänderung vollziehen soll. Man unterscheidet
- Kognitive Lernziele: Sie bezeichnen den Bereich des Wissens, des Denkens und des Verstehens.
- Sozial-emotionale Lernziele: Sie bezeichnen den Bereich der Werte, der Gefühle und der Einstellungen ("affektive Lehrziele")
- Psychomotorische Lernziele: Sie bezeichnen den Bereich des Handelns und des Verhaltens.
Am besten lassen sich die drei Lernbereiche an einem Beispiel verdeutlichen, das fast jeder aus eigener Erfahrung kennt: Wie lernt man ein Auto richtig und verantwortungsbewusst fahren?
Kognitiv: Wie liegen die Gänge? Was bedeuten die Verkehrsschilder?
Affektiv: Ich bin mir der Gefahren bewusst und fahre daher defensiv.
Psychomotorisch: Einkuppeln und losfahren lernen.
In der Hochschulausbildung scheinen zwar die kognitiven Lernziele zu dominieren. Der sozial-emotionale Bereich wird in der Regel weniger beachtet, obgleich er für das Lernergebnis, verstanden als Verhaltensänderung, eine wichtige Rolle spielt. Er hat sozusagen eine Steuerungsfunktion für die Umsetzung des auf der kognitiven Ebene erworbenen Wissens.
3. Intensitätsstufen von Lernzielen
Lernzielformulierungen im kognitiven Bereich können nach dem Grad der Komplexität der jeweils erwarteten Lernleistung geordnet werden. Am bekanntesten und allgemein akzeptiert ist die Lernzieltaxonomie (Taxonomie = gesetzmäßige Ordnung) von Bloom u. a. Danach werden folgende Intensitätsstufen unterschieden:
Stufe 1: Kenntnisse (von Begriffen, Fakten, Verfahrensweisen, sowie von Wegen und Mitteln für den Umgang mit ihnen)
Stufe 2: Verständnis (die Fähigkeit der Erfassung und freien Wiedergabe von Informationen und Mitteilungen; die Fähigkeit, gegebene Informationen und Daten zu interpretieren und aus ihnen Schlussfolgerungen zu ziehen)
Stufe 3: Anwendung (von Methoden, Regeln, technischen Prinzipien auf konkrete Einzelfälle oder Situationen)
Stufe 4: Analyse (von Situationen oder Zusammenhängen auf ihre einzelnen Bestandteile sowie auf zugrunde liegende Prinzipien hin)
Stufe 5: Synthese (Entwicklung eines Handlungsplans unter Berücksichtigung bestimmter Bedingungen; Fähigkeit, im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel seine Gedanken und Erfahrungen zu formulieren)
Stufe 6: Beurteilung (Urteile über den Wert von Material, Methoden, Verfahrensweisen u.ä. für bestimmte Zwecke; Fähigkeit, logische Widersprüche innerhalb einer Argumentation nachzuweisen)
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In der didaktischen Literatur finden wir für das, worum es im Folgenden geht, ganz überwiegend die
Begriffe "Lernziele" oder "Lehr-/Lernziele". Diese Begriffe gehen von einer Gleichsetzung
von Lehr- und Lernzielen für den Unterrichtsprozess aus. Nach den heute herrschenden kognitiven bzw.
konstruktivistischen Lerntheorien ist eine solche Gleichsetzung jedoch fragwürdig. Angesichts der
individuellen Art und Weise, wie Informationen von Individuen bewertet und verarbeitet werden, kann man
nicht automatisch davon ausgehen, dass die Lehrziele des Dozenten vom Lerner als seine Lernziele akzeptiert
werden. Lernen ist ein selbst gesteuerter und selbst organisierter Prozess. Die Gleichsetzung von
Lehr- und Lernzielen wird daher in der modernen Didaktik teilweise abgelehnt (s. Webler). In der folgenden
Darstellung und auch in meinem Seminar bleibe ich bei dem ganz überwiegend verwendeten Begriff
"Lernziel", da ich in ihm einen terminus technicus für ein bestimmtes
Planungsverfahren sehe.
Quellen und weiterführende Ressourcen
Bloom (1976):
Bloom, B.S. (Hrsg.): Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich. 5. Auflage. Weinheim u.a., 1976
Brokmann-Nooren et al. (1994):
Brokmann-Nooren, Christiane unter Mitarbeit von Ricken, H. und Schröder, A.: Studieneinheit Lehr- und Lernziele. In: Brokmann-Nooren et al. (Hrsg.): Handreichungen für die nebenberufliche Qualifizierung (NQ) in der Erwachsenenbildung. Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung, 1994 (Arbeitshilfen für die politische Bildung)
Döring et al. (2001):
Döring, Klaus W.; Ritter-Mamczek, Bettina: Lehren und Trainieren in der Weiterbildung. Ein praxisorientierter Leitfaden. 8. Auflage. Weinheim: Deutscher Studien-Verlag, 2001
Krathwohl et al. (1975):
Krathwohl, David R.; Bloom, Benjamin S.; Masia, Bertram B.: Taxonomie von Lernzielen im affektiven Bereich. Weinheim u.a.: Beltz, 1975 (Beltz-Studienbuch 85)
Mager (1965):
Mager, Robert F.: Lernziele und programmierter Unterricht. Weinheim/Bergstr.: Beltz, 1965
Webler (2003):
Webler, Wolff-Dietrich: Lehrziele oder Lernziele? In: Das Hochschulwesen, 51. Jahrgang (2003), Heft 2. - S. 59